Durch welche agile Methoden und Prinzipien lässt sich ein Projekt managen oder gar eine Organisation gestalten, so dass mehr Eigenverantwortung von den Beteiligten gefordert und gefördert wird?
Was ist Eigenverantwortung?

Verantwortung heißt laut Duden: „Mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht.“ Als eigenverantwortliche Mitarbeiter gelten wir also, wenn wir uns dieser Verantwortung selbst annehmen, ohne dass sie uns jemand überhelfen muss oder sogar anweisen muss, was zu tun ist.

Agile Methoden zur Förderung und Forderung für eigenverantwortliche Mitarbeiter

Solche Mitarbeiter wünschen sich doch alle Unternehmen! Gerade in Zeiten von Schnelllebigkeit und Komplexität – wir reden auch von einer VUCA Welt – sind es diese Mitarbeiter, die ein Unternehmen braucht, um auf unvorhersehbaren Situationen zu reagieren und praktische und innovative Lösungen umzusetzen. Aber woher bekommt ein Unternehmen diese Menschen? Das wissen wir auch nicht! Wir glauben aber auch, dass die funktionalere Frage ist: Wie werden die Mitarbeiter so? Dazu haben wir mögliche Antworten. Eine davon sind agile Methoden. Unter agilen Methoden, können Ansätze verstanden werden, die auf bestimmten Werten und Prinzipien beruhen. Einiges davon haben wir in unseren Beiträgen bereits behandelt (siehe Post: SCRUM Management oder Lean Construction). Scrum wird sehr häufig als prototypischer agiler Ansatz für das Projektmanagement angeführt. In diesem Post werden wir beschreiben, wie agile Ansätze dazu beitragen, die Eigenverantwortung von Mitarbeitern in Unternehmen zu erhöhen.

Das Pull Prinzip

Ein essentielles Prinzip in allen agilen Ansätzen ist das „Pull“ Prinzip. Wir kennen das von den E-Mail Einstellungen auf unseren Smartphones. Auf Pull gestellt, heißt, ich muss jedes Mal eigenständig durch öffnen des E-Mail Klienten meine Mails abrufen. Auf „push“ gestellt hingegen, werden mir die Emails direkt von Server zugestellt und ich höre durch einen Ton, dass ich eine neue E-Mail erhalten habe. Im Projektmanagement verhält sich das ganz ähnlich. Dem Pull Prinzip folgend, „ziehen“ sich die Mitarbeiter die eigenen Aufgaben selbst aus einem Aufgabenspeicher, der vorher gemeinsam gefüllt und priorisiert wurde. Sobald ein Mitarbeiter also eine Aufgabe erledigt hat, nimmt er sich eine neue vor. In der Produktion spricht man dann von einer Prozesssteuerung, die von der Senke zur Quelle geht (siehe auch Lean Ansätze oder Kanban System)

Das Prinzip Rollenklarheit

Das Pull Prinzip sorgt für großes Commitment gegenüber den selbst gewählten Aufgaben. Es funktioniert am besten, wenn einige weitere Prinzipien beachtet werden. So ist ein weiteres wichtiges Prinzip die Rollenklarheit. In Scrum Teams gibt es keine unklaren oder widersprüchlichen Rollen. Unter anderem ermöglicht dies auch eine zielgerichtete Zusammenarbeit, ohne dass es eine formale Führungsposition gibt, die mit disziplinarischer Führungsmacht ausgestattet ist. Das heißt in Konsequenz, Aufgaben für den Aufgabenspeicher werden gemeinsam besprochen und verhandelt. Jeder hat ein Mitspracherecht, wodurch ein großes Verständnis für die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit der Aufgaben entsteht.

Das Prinzip Transparenz

Ein weiteres Prinzip ist Transparenz. In agilen Ansätzen haben alle Teammitglieder immer Einsicht über den aktuellen Stand des Projektes. Welche Aufgaben erledigt welches Teammitglied? Welche Aufgaben sind bereits erledigt? Welche Aufgaben gilt es noch zu erledigen? Was findet der Kunde von den erarbeiteten Lösungen? Wie ist die Geschwindigkeit im Projekt? All dies wird über die verschiedenen Besprechungsformate wie z.B. Daily Standups und Reviews sowie simple Projektmanagementtools wie z.B. das Taskboard oder die Burndowncharts gewährleistet. Diese sind immer für alle Teammitglieder aktuell einsehbar.

Das Prinzip Interdisziplinarität

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die fachliche Interdisziplinarität der Projektteams. Es gibt keine Trennung zwischen Abteilungen, sondern in einem Projektteam sind idealerweise alle Experten aus den relevanten Fachbereichen vertreten. Das kann so weit gehen, dass bspw. in Bauprojekten, die Experten für das Facility Management bereits während der Konzeptions- und Planungsphase Teil des Projektteams sind (siehe hierzu auch Lean Construction, speziell für das Bauwesen). Die Interdisziplinarität ist wichtig, weil diese dadurch entstehende interne Komplexität es erst ermöglicht die externen komplexen Anforderungen funktional zu bewältigen. Durch den eigenverantwortlichen Austausch unter den Fachexperten entstehen Innovationen, Problemlösungen und verlässlichere Absprachen zwischen den Schnittstellen.

Das Prinzip konstruktive Fehlerkultur

Ein weiteres und für diese Post letztes, aber immens wichtiges Prinzip ist die konstruktive Fehlerkultur in agilen Teams oder Organisationen. Eine grundlegende Annahme ist, dass Fehler Teil eines menschlichen Arbeitsprozesses sind und Grundlage für Lernen. Gerade in einer unvorhersehbaren VUKA Welt sind Probleme häufig Überraschungen, für die es noch keine Lösung, geschweige denn einen Prozess oder Standard gibt. Um diese Probleme zu lösen, ist es wichtig Fehler machen zu können und sich dies zu trauen. Weiter noch, es geht darum die Fehler möglichst früh zu erkennen, denn dadurch werden Auswirkungen wie finanzielle Verluste so gering wie möglich gehalten.

Die Rahmenbedingungen bestimmen das Verhalten

Durch die Schaffung von Rahmenbedingungen können Menschen eigenverantwortliches Arbeitsverhalten zeigen und entwickeln. Das Menschen dies von Natur aus wollen und das Autonomie eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für intrinsische Motivation ist, ist an anderer Stelle von uns bereits argumentiert (siehe post: Motivation – Denken und Handeln motivieren und Sinn und Motivation – Was Mitarbeiter brauchen). Dass die Rahmenbedingungen in denen der Mensch wirkt, in der Regel stärkeren Einfluss auf das Verhalten haben als der Charakter einer Person und bei weitem mehr als wir gemeinhin vermuten ist ebenfalls ein robuster Effekt in der psychologischen Forschung und von uns in diesem Blogpost beschrieben (Das Menschenbild einer Organisation bestimmt das Verhalten der Menschen in ihr).

Keine Agilität ohne entsprechendes Mindset

Will ich nun oder brauche ich sogar eigenverantwortliche Mitarbeiter in meinem Unternehmen, dann ist es unerlässlich, die eigene Arbeitsgestaltung und Organisationsgestaltung unter die Lupe zu nehmen. Die Einführung von agilen Arbeitsweisen und agilen Methoden kann aus unserer Erfahrung einen funktionalen Rahmen schaffen, in denen Mitarbeiter die Einladung zur Eigenverantwortung annehmen. Damit dies aber gelinkt, braucht es mehr als einen agilen Rahmen, den man über bestehende Prozesse und Kultur stülpt. Die Abläufe und Tools sind einfach (eine Stärke des agilen Ansatzes), die Veränderung und Anpassung an das agile Denken ist es, dass Geduld benötigt und reflektierte Prozessbegleitung. Wenn dies gegeben ist und die Überzeugung und Motivation für den Veränderungsprozess groß genug, dann kann die Reise losgehen und das Unternehmen sich auf den Weg machen, zu einem an die VUKA Welt angepassten Betriebssystem, dass eigenverantwortliche Mitarbeiter fordert und fördert.

Autor – Dr. Philipp Philippen ist systemischer Berater und promovierter Leistungspsychologe mit einem Schwerpunkt auf Agilen Arbeitsformen, intelligenten Systemen, und New Work