Unternehmen verstehen heißt Unternehmen verändern

„Man kann ein System nur verstehen, wenn man versucht es zu verändern.“ Diese Worte von Kurt Lewin beschreiben sehr treffend die Aufgabe einer jeden Führungskraft, die es geschafft hat, sich vom klassischen Bild des Managements und der Mitarbeiterführung zu lösen. In unserem letzten Post (Organisation als lebendiges System) haben wir unser Bild vom Unternehmen als lebendiges System näher beschrieben. In diesem Post werden wir uns mit den Möglichkeiten der Führung eines solchen Systems beschäftigen.

Weiterentwicklung des Managements – alte Bilder loslassen

Die erste Herausforderung für Manager und Führungskräfte, ist es sich von dem klassischen Bild der Unternehmenssteuerung, bzw. Führung, zu lösen. Solche klassischen  Bilder können bspw. das Schiff mit dem Steuermann (Manager) oder die Expedition mit dem Expeditionsleiter sein (Morgan, 1997). Diese Bilder transportieren die Illusion von Beherrschbarkeit, die in einer komplexen Umgebung (z.B. globale Märkte) und einem per Definition komplexen (lebendigen) System (Luhmann, 1997) trügerisch sind. Als alternative Betrachtungsweise eines Unternehmens hantieren wir bei der Schönfeld Unternehmensberatung das Bild eines lebendigen Systems, z.B. eines Bienenstocks oder eines Biotops. Stellen Sie sich einmal ein Biotop vor. Was sehen Sie? Vielleicht einen See, Bäume, Wiesen, usw. Sehen Sie auch einen Himmel und vielleicht sogar Wolken und Vögel? Mit diesem Bild vor Augen, stellen Sie sich folgende Fragen: Wo sind die Grenzen des Biotops? Was gehört noch dazu (z.B. der See) und was gehört nicht mehr dazu (z.B. der Himmel)? Wie würde das Biotop auf Einflüsse von außen reagieren (z.B. große Hitze oder starker Regen)? Und wer steuert das Biotop? Steuert es sich vielleicht selbst? Diese Fragen gilt es sich auch einmal in Bezug auf das eigene Unternehmen zu stellen. Erfahrungsgemäß sind diese nicht leicht zu beantworten.

Manager müssen Abstand nehmen, um Muster und Dynamiken zu erkennen

Ein Manager der sich diese Fragen auch in Bezug auf das eigene Unternehmen stellt, hat bereits einen weiteren wichtigen Schritt zur effektiven Führung unternommen. Es ist unerlässlich für die Führung von lebendigen Systemen, die selbigen auch immer wieder mit Abstand zu beobachten. Der Abstand ist wichtig, um im Unternehmen existente Muster und Dynamiken zu erkennen, welche unvermeidlicher Teil der Unternehmenssteuerung sind. Die Wiederholung der Betrachtung ist wichtig, da sich Muster auch immer wieder ändern können, abhängig von den Einflüssen der Umwelt (z.B. Märkte) des Systems. Die in einem Unternehmen vorhandenen Muster zu erkennen, ist für die effektive Unternehmenssteuerung eines der obersten Ziele. Die Muster entscheiden darüber wie die Steuerungsimpulse, die ein Manager setzt, vom System (dem Unternehmen) aufgenommen oder abgestoßen werden. Um die Steuerungsmuster eines Unternehmens zu erkennen, gibt es einige sehr hilfreiche Methoden mit denen wir sehr gute Erfahrung in unserem Beratungsalltag gemacht haben. Als besonders geeignet hat sich die Lebensweganalyse des Unternehmens erwiesen. Im Grobem geht es dabei darum die Entwicklung des Unternehmens, inkl. der einschneidenden Ereignisse und Reaktionen darauf, aufzuzeichnen (für eine sehr empfehlenswerte Toolsammlung und Erklärung sehen sie Exner, Exner & Hochreiter, 2009).

Steuerungsimpulse setzen, heißt das Unternehmen verstehen zu lernen

Wenn die Analyse der Steuerungsmuster vollzogen ist, werden die ersten Steuerungsimpulse geplant. Die essentielle Methode hierfür ist die Hypothesenschleife (siehe Abb. 1). Bevor gehandelt wird, werden Hypothesen über vorherrschende Dynamiken und die möglichen Effekte der Interventionen (der Steuerungsimpulse) gebildet. Anschließend wird die Stoßrichtung entschieden, d.h. welcher mögliche Steuerungsimpuls zu erst gesetzt werden soll. Im letzten Schritt der Schleife werden die geplanten Interventionen umgesetzt und es wird deren Effekt beobachtet, wodurch die neue Hypothesenschleife beginnt.

Abb. 1. Hypothesenschleife

Diese Vorgehenseise der Unternehmensführung stellt eine regelmäßige Beobachtungsperspektive der unternehmenseigenen Dynamiken zentral. Ausgehend von dem theoretischen Standpunkt, dass alle sozialen, bzw. lebendigen Systeme komplex sind und somit nicht beherrschbar (siehe Post: Organisation als lebendiges System), benötigt effektive Unternehmensführung ein Verständnis für die Steuerungsmuster innerhalb des Unternehmens. Damit sind wir wieder bei den anfänglichen Worten Lewins.

Der machtlose Manager! Führung heißt Arbeit am System nicht an einzelnen Teilen

Ausgehend von unserer theoretischen Perspektive sind wir davon überzeugt, dass ein Manager weniger kraftvoll ist, wenn er versucht über formale Macht, d.h. aus seiner in der Hierarchie höher stehenden Stelle, die Dynamiken innerhalb eines sozialen Systems zu beherrschen. Das heißt aber keineswegs, dass der Manager überflüssig ist. Im Gegenteil, dem Management kommt eine neue sehr herausfordernde Aufgabe zu. Es gilt das System zu beobachten und Impulse zu setzten die das selbige steuern. Es gilt als Führungskraft am System zu arbeiten und nicht an den einzelnen Teilen. Einerseits setzt dies ein Verständnis für die Dynamiken innerhalb eines sozialen Systems voraus. Andererseits ist ein klares Verständnis für das eigene Menschenbild, aufgrund dessen Veränderungen am System vorgenommen werden, eine grundlegende Voraussetzung für effektive Unternehmensführung. Mit dem Thema Menschenbild befassen wir uns in unserem nächsten Post. Zum Abschluss nun noch ein kurzes Beispiel aus der Praxis, um die abstrakten Ausführungen greifbarer zu machen.

Praxisbeispiel: Mehr Engagement in Besprechungen

Die Geschäftsführung (GF) eines Konzerns wünscht sich bei den monatlichen Besprechungen mit den Führungskräften (FK) einer Gesellschaft mehr Engagement und Ideen. Die Beobachtung der Besprechung zeigt, dass zu Beginn der Besprechung die Berichtserstattung von Konzernebene steht. Anschließend folgt die Protokollkontrolle der letzten Besprechung. Bevor die FK zu Wort kommen, vergehen in der Regel 60 bis 90 Minuten, in denen die FK eine konsumierende Haltung einnehmen. Die ersten Redebeiträge der FK sind bedingt durch das Procedere ebenfalls Berichterstattungen. Aus den Beobachtungen ließe sich nun folgende Hypothese bilden: „Der berichterstattende und protokollkontrollierende Charakter der Besprechung führt zu einer konsumierenden Haltung der FK.“ Für eine Veränderung gilt es nun, dieses Muster zu durchbrechen. Die gutgemeinte Aufforderung an die FK sich mehr mit Ideen einzubringen wäre ein Beispiel für die Arbeit an einzelnen Teilen. Die Veränderung des Designs der Besprechung hingegen wäre ein Beispiel für die Arbeit am System. Es gilt Formate und Strukturen zu schaffen, die das Engagement der FK in der Besprechung befördern. So könnte man bspw. die Besprechung mit einer Runde Mini-labs (Kleingruppen die sich ca. 5 Min. austauchen) zu den zentralen Themen der Besprechung beginnen. Auch ein anfängliches Statement von allen FK zu deren wichtigsten Anliegen in der aktuellen Besprechung wäre eine Möglichkeit. Diese Themen können gesammelt werden und anschließend durch alle FK gerankt werden. Auch die Protokollkontrolle könnte man abwandeln. Z.B. sollten alle FK das Protokoll kennen und Punkte nur bei Klärungsbedarf besprochen werden. Diese kleinen Veränderungen am System, also am Ganzen, führen zur Veränderung der einzelnen Teile (dem Engagement der FK). Ohne Veränderung am System, würde dieses die Aufforderung zu mehr Engagement (Steuerungsimpuls abgezielt auf Veränderung der einzelnen Teile) einfach abstoßen.

Literatur 

Exner, A., Exner, H. & Hochreiter, G. (2009). Selbststeuerung von Unternehmen. Campus Verlag: Frankfurt/New York.

Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag: Frankfurt a. M.

Morgan, G. (1997). Bilder der Organisation. Klett-Cotta: Stuttgart.