Fragmentierung entgegenwirken Grenzen zwischen Abteilungen abbauen

Seit 2 Jahren führen wir Führungskräfteentwicklungen in einer universitären Einrichtung durch, an denen Organisationsmitglieder aus den Bereichen Forschung und Verwaltung gemeinsam teilnehmen. Die Zusammensetzung wird von den TeilnehmerInnen als außergewöhnlich wahrgenommen: „…Man bleibt sonst eher unter sich und bildet sich innerhalb des eigenen Organisationsbereiches weiter.“

Ein Blick in die Praxis: Unterschiedliche mentale Modelle

In Forschungseinheiten des Wissenschaftsbetriebs herrscht häufig das Bild vor, die Verwaltung wäre eine Serviceeinheit, um gute Voraussetzungen für die Forschung zu ermöglichen. MitarbeiterInnen aus der Verwaltung sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie wären zu verfahrensorientiert und würden das effektive Vorankommen blockieren. Dadurch besteht bei den VerwaltungsmitarbeiterInnen häufig das Bild, dass seitens der Wissenschaft Vorgaben und Realitäten, mit der die Verwaltung alltäglich umzugehen hat, mit Missbilligung betrachtet werden. Dabei übersieht der Wunsch der Wissenschaft nach schneller Umsetzung gesetzliche Fristen und Regelungen.

Nicht nur im universitären Kontext unterscheiden sich die Organisationsbereiche in ihren Wahrnehmungen in Bezug auf die anderen Abteilungen oder die vorhandenen Positionen und Rollen. Unserer Erfahrung nach nimmt z. B. die Vertriebsabteilung häufig die Produktion als nicht ausreichend kundenorientiert und flexibel wahr, um die Wünsche der Kunden tatsächlich zu befriedigen. Die KollegInnen seien ja nicht beim Kunden und wüssten nicht wirklich, was „draußen“ abläuft. Andersherum wird häufig der Vorwurf seitens des Innendienstes laut, dass VertrieblerInnen sich nicht mit den internen Gegebenheiten und Prozessen auseinandersetzen müssen und daher nicht um die Hürden und täglichen Herausforderungen des Innendienstes wissen oder diese verstehen können.

Das Verständnis dafür, dass die Menschen in ihren Organisationseinheiten verschiedene Rollen und Positionen ausfüllen und den gegebenen Verantwortungen nachkommen und danach handeln, geht teilweise oder ganz verloren. Nicht selten kommt es zu einer wahrgenommenen Unvereinbarkeit, die den Organisationsmitgliedern selbst zugeschrieben wird. Es kommt zu Aussagen wie „Das ist eben ein anderer Menschenschlag.“ oder „Die ticken eben anders als wir.“ oder „Die Chemie stimmt eben nicht.“.

Wahrnehmungen und das subjektive Bewusstsein

Annahmen, Vorurteile und innere Bilder entstehen u.a. durch Überlieferungen, vorherrschende Meinungen, begrenztes Wissen, Glaubenssätzen, eigene Konditionierung und Prägung sowie Gefühle, die durch die aufgeführten Einflussfaktoren entstehen. Wahrnehmungen werden also sowohl kontextuell als auch individuell geprägt. Es stellt sich die Frage, wie bewusst sich Menschen dieser Einflussfaktoren sind.

Hinzu kommen organisationale, gesellschaftliche oder persönliche Drucksituationen, denen Organisationsmitglieder folgen. Im Bereich der Forschung gilt es beispielsweise, durch Reputation in Form von Publikationen, Expertenstatus und Imageaufbau, die eigene Position zu stärken und abzusichern. Das eigene Verhalten und Handeln wird dem oft egozentriert angepasst. Anliegen aus anderen Organisationseinheiten werden folglich, aufgrund der Ich-bezogenen Ziele, als unpassend empfunden. Aus eigenen Interpretationen werden Urteile und Beobachtungen, Wahrnehmungen und Gefühle werden auf Grundlage der Ichbezogenheit überprüft. In Abhängigkeit von der Bewusstheit und Haltung mit der Gegebenheiten, Dynamiken und Wechselwirkungen in Organisationen betrachtet werden, ergibt sich eine ganz persönliche Realität und der Blick für die gemeinsamen Ziele oder Visionen geht verloren.

Fragmentierung und ihre Folgen

In den eingangs erwähnten Führungskräfteentwicklungen kommen nun Organisationseinheiten zusammen, um u.a. das Bild von Führung gemeinsam zu reflektieren. So kommt es auch zu einem Austausch über die abteilungsspezifischen Gegebenheiten und Herausforderungen für die Führungskräfte und MitarbeiterInnen.

Der Alltag in Organisationen sieht jedoch häufig anders aus. Wie oft kommt es wirklich zu einem interdisziplinären Austausch, in dem es gelingt eigene Interessen, Machtbehauptungen, oder übermäßige Anpassung zu überwinden, um das Gemeinsame zu fördern, einander wirklich zuzuhören und Verständnis füreinander zu entwickeln?

So bleiben Organisationseinheiten häufig unter sich und betrachten die (Organisations-) Welt aus der eigenen Expertisen- oder Rollenbrille. Die Wahrnehmungen und damit verbundenen Urteile und Entscheidungen sind auf die eigene Perspektive gerichtet. Es kommt zu einer Zerstückelung des Ganzen. Der Grundsatz, „Das Ganze ist mehr, als die Summe der Teile“, geht verloren. Die Fähigkeit und die Möglichkeiten Dynamiken und Wechselwirkungen in der Organisation aus unterschiedlichen Perspektiven in all ihren Facetten zu betrachten, wird wenig genutzt und gefördert.1

Räume für Dialog schaffen – Was ist ein Dialog? Ein kleiner Exkurs

Organisationen auf dem Weg zur Selbststeuerung sind daher aufgefordert, einen Rahmen zur Selbstreflektion zur Verfügung zu stellen.2 Das betrifft auf der einen Seite die individuelle Selbstreflexion und auf der anderen Seite diDia bedeutet im Griechischen hindurch und Logos bedeutet Wort bzw. Sinn. Für Sokrates bedeutete dies sinngemäß, dem bewussten und damit prüfenden Denken zu folgen und nicht unbegründeten Überlieferungen. Ebenso wenig bedeutete dies für ihn aus Bequemlichkeit Autoritäten zu folgen. Für Martin Buber, jüdischer Religionsphilosoph, bedeutet Dialog sich aus dem Ich und dem Du, von Wesen zu Wesen, zu begegnen. Der Quantenphysiker David Bohm beschreibt die sich entwickelnde Kraft eines nicht bewertenden Bewusstseins. Dies ist im Zusammenhang mit Selbstreflexion in Bezug auf die Überprüfung automatisiert ablaufenden Beurteilungen zu sehen. Es kann auch bedeuten, das Folgen einer stark egozentrierten geprägten Sichtweise zu erkennen, die auf eingeschränktes Wissen fokussiert, die z. B. aus einer fachlichen Expertise und Prägung entsteht.

Es geht also nicht primär um ein Urteil oder eine Veränderung, sondern darum, das Denken und Wahrnehmen ins Fließen zu bringen, das Wissen in das Zentrum kollektiver Reflexion zu bringen. Innere Landkarten und Wahrnehmungen werden transportiert, bewusst aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Ganze geschaut und anerkannt, dass es unterschiedliche Wahrheiten gibt.2

Dialogische Haltung

Haltung und Reflexionsfähigkeit lassen sich nicht rational erlernen, sondern entstehen in lebendigen Prozessen. Zum gelingenden Dialog gehört es, eigene Impulse wie Abwehr, Schuldzuweisungen oder Abwertungen steuern zu können und somit eine Haltung des Respektierens einzunehmen. Es braucht die Bereitschaft eine lernende Haltung einzunehmen. Bereit zu sein, auch als ExpertIn offen für andere Perspektiven zu sein, im Sinne von „Ich bin ein Meister, der übt.“.Dies erfordert ein bewusstes Zuhören, wirkliches Hinhören, aus einem inneren Schweigen heraus. Dafür ist es notwendig den eigenen Impuls der sofortigen Erwiderung zu stoppen. Hervorzuheben ist, dass es nicht darum geht, die eigenen Standpunkte und Gedanken aufzugeben. Es geht vielmehr darum, die anderen nicht durch vehemente Argumentation, Macht- oder Hierarchieverhalten zu überzeugen, sondern Beteiligte mitzunehmen und durch ein produktives Plädieren zu gewinnen. Jede(r) Beteiligte ist eingeladen, authentisch und klar mit den eigenen Worten auszudrücken, was die persönlichen Beobachtungen, Gedanken und empfundenen Emotionen sind. Ohne die eigene Sichtweise, die eigene Wahrheit als endgültig und festgeschrieben zu betrachten. Da man Verhalten nicht verordnen kann, ist es uns stets wichtig in Prozessbegleitungen sowie auch in den angesprochenen Führungskräfteentwicklungen mittels Formaten, wie z.B. Reflexions- oder Resonanzrunden, einzuladen, die beschriebene Haltung einzunehmen.

Unser Vorgehen ganz konkret:

Führungskräfteentwicklung – Dialog trainieren

Ausgehend vom partizipativen Führungsansatz, in dem Führungskräfte als Facilitator agieren, sehen wir die systemische Fragetechnik als ein zentrales Handwerkszeug für Führungskräfte, mithilfe dessen MitarbeiterInnen eigenverantwortlich und gestaltend Lösungen erarbeiten können. So ging es in der beschrieben Führungskräfteentwicklung auf der einen Seite immer wieder darum, Fragetechnik anzuwenden und zu trainieren und auf der anderen Seite darum, Differenzen zwischen den einzelnen Organisationseinheiten, wie Forschung und Verwaltung, sichtbar zu machen.

Wir haben die TeilnehmerInnen in interdisziplinären 2er bzw. 3er Gruppen (Forschung und Verwaltung) eingeladen Ihre Empfindungen und Sichtweisen zu folgender Leitfrage zu schildern: „Wie erlebst Du Dynamiken und Wechselwirkungen in der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wissenschaft?“. Das Setting war so angelegt, dass Führungskraft A ihre Sichtweisen 10 Minuten lang schilderte. Die Dialogpartner waren angehalten nur aufmerksam zuzuhören, nicht zu unterbrechen, nicht zu urteilen oder zu werten. Nach der 10minütigen Schilderung ging es für die Dialogpartner darum, die eigenen Wahrnehmungen der Schilderung tiefer zu verstehen. Es gab jetzt 15 Minuten Zeit, mit folgenden zwei Leitfragen zu hinterfragen: „Was hast Du konkret erlebt, hast Du ein Beispiel dafür?“ und „Was meinst Du genau mit….?“. Ziel war es, auf der einen Seite Fragetechnik und genaues Hinhören zu trainieren und auf der anderen Seite die Dialogfähigkeit zu fördern.

In anschließenden, gemeinsamen Resonanzrunden wurde die Wirkung eines Settings hinterfragt, in dem dem/der Anderen erst einmal nur aufmerksam zugehört wird und in dem erst einmal genau hinterfragt wird, anstatt sofort in eine Diskussion einzusteigen. Außerdem wurde besprochen, in welchen Kontexten solche oder ähnliche Formate in der Führungsarbeit einsetzbar wären.

In Fallberatungen haben wir die TeilnehmerInnen eingeladen, Führungsfragen und Anliegen in dialogischer Form zu erörtern. Um die Führungskräfte weiter für einen Perspektivwechsel zu befähigen, wurden zirkuläre Fragen eingesetzt: „Wie würden mir die beteiligten Mitarbeiter die Situation schildern?“, „Wie empfindet die KollegIn aus der Abteilung XY diese Situation aus ihrer Rolle und Verantwortung? Was würde die KollegIn schildern?“, „Was glaubst Du, würden die Beteiligten unternehmen, um das Problem zu lösen? Was würden diese berichten?“.

Neben den einzelnen Modulen mit allen TeilnehmerInnen, wurden interdisziplinäre Entwicklungsgruppen gegründet. Diese kamen regelmäßig zusammen, um u.a. mit den beschriebenen Methoden Fallbesprechungen zu Führungsthemen durchzuführen, aber auch Differenzen zwischen Organisationseinheiten zu reflektieren.

Nach anfänglichen Irritationen, die in der ungewohnten Art der Kommunikation bzw. des Dialogs begründet lagen, wurde deutlich, dass dadurch ein wirkliches Verständnis für Dynamiken und Wechselwirkungen entsteht, dass Lösungen, die gefunden wurden, anschlussfähiger sind und gemeinsam gelebt werden können und dass Transparenz entsteht und das Wir-Gefühl dadurch gestärkt wird.

Dialog in Organisationen fördern und leben – Anforderungen an die Organisationsentwicklung

Wie können nun Räume für Dialoge in Organisationen geschaffen werden, so dass diese Bestandteil der Kultur werden? Es stellt sich die Frage, was eigentlich Unternehmenskultur ist und wie in der jeweiligen Haltung Dialog gefördert und Formate eingeführt werden können.

Organisationskultur ist die DNA einer Organisation. Sie ist für Menschen besonders dann wahrzunehmen, wenn diese gerade aus einem anderen kulturellen (Arbeits-) Kontext kommen. Gerade die Beobachtung des Unterschieds macht die Merkmale der eigenen Kultur deutlich. Alle, die einmal längere Zeit im Ausland verbracht haben, werden durch Beobachtung der neuen/anderen Kultur auch mehr Erkenntnisse über die eigene erlangt haben. Jedoch bleibt das gesamte Konstrukt Kultur nicht greifbar. Das spiegelt sich auch in den vielzähligen Versuchen einer Definition von Organisationskultur wider.

Eine meines Erachtens recht treffende Metapher für Unternehmenskultur ist der Geruch. Man nimmt ihn wahr, wenn man einen Raum betritt. Doch sobald man einige Zeit in dem Raum verbracht hat, entzieht er sich unserer Wahrnehmung. Eine hilfreiche Definition ist die von Ed Schein: „Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme, externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.Hier wird deutlich, dass die Grundannahmen, die die Muster der Kultur ausmachen, aus dem Tun erlernt wurden. Ebenso wichtig ist, dass diese Muster zu erfolgreichen Lösungen geführt haben, also eine relevante Funktion für die Organisation haben.5 Geht man von dieser Interpretation der Definition aus, dann lässt sich eine Kultur auch nur im Tun verändern. Und auch nur dann, wenn die Veränderung im Tun eine relevante Funktion hat, die von den Akteuren wahrgenommen wird. Deutlich wird diese Unmöglichkeit der kulturellen Steuerung im Kulturdreieck von der Beratergruppe Neuwaldegg dargestellt. 

Der Kern des Dreiecks, die Kultur, ist nicht direkt berührbar. Direkten Einfluss kann in einer Organisation nur auf die Ecken des Dreiecks genommen werden. Das heißt, diese kann Programme, wie z.B. Strategien, Gesundheitsmanagement, Führungskräfteentwicklung, Compliance, usw. verändern. Sie kann Prozesse überdenken und anpassen, kann Strukturen schaffen oder bestehende verändern. Und sie kann Personen austauschen, befähigen, zu Reflexion einladen, zusammenbringen, usw.. All diese Veränderungen stehen immer in Wechselwirkung zueinander und haben einen Einfluss auf die Kultur. Die Kultur wiederum hat einen Einfluss auf alle 3 Ecken. Inwiefern eine solche Beeinflussung geschieht, kann jedoch nicht mit Sicherheit vorhersagt werden.
Zur Beantwortung der Frage, wie nun Räume für Dialoge in Organisationen geschaffen werden können, sodass diese Bestandteil der Kultur werden, könnten nun ebenfalls Interventionen in den beschriebenen Dimensionen (Programme, Prozesse, Personen) stattfinden.

Funktional wäre unseres Erachtens zunächst eine Klärung des Nutzens und der Funktionalität der Dialogräume, die geschaffen werden sollen. Was ist der Impuls, Auslöser (jetzt) zu handeln? In welchen Organisationseinheiten wären sie dringend notwendig? Welche Dialogformate wären geeignet und welche Haltung gilt es zu stärken? Wie kann diese Haltung gestärkt und Organisationsmitglieder befähigt werden? Welche Personenkreise sollten involviert sein? Wie sollte der Prozess reflektiert und ggfls. modifiziert werden? Wo und wie könnte die Transformation im System starten und wie könnte die Implementierung der Dialogsysteme Schritt für Schritt in weitere Organisationsbereiche erfolgen? Die Klärung der beschrieben Fragen und der Prozess selbst könnte dialogisch und in iterativen Schleifen erfolgen.

Alle Illustrationen: © Elke Halberstadt, www.comic-gestaltung.de für Schönfeld Unternehmensberatung

Literatur:

1 ZOE, Nr.03/2018, Mit dialogischer Haltung auf Sinnsuche in Organisationen, Klassiker der Organisationsforschung 29, Thomas Klug

2 Was ist Dialog, Trigon Themen 03/06, Trigon Skript Train the Trainer, Zertifikatslehrgang Mindful Leadership, Uni Witten Herdecke, 2018

3 https://www.schoenfeld-unternehmensberatung.de/mindful-leadership-agile-organisationen/ (Zugriff am 08/2018)

4 htps://de.wikipedia.org/wiki/Organisationskultur, (Zugriff am 06/2016)

5 https://www.schoenfeld-unternehmensberatung.de/unternehmenskultur-innovationskultur-besprechungskultur/ (Zugriff 08/2018)

6 Selbststeuerung von Unternehmen , A. Exner, H. Exner, Hochreiter, Campus Verlag, 2009, Neuwaldegger Gruppe, Curriculum „Systemische Unternehmensentwicklung, 2012/13